Wer in einer Demokratie schläft, wacht in einer Diktatur auf.
Bestimmt hast Du diesen Satz irgendwo schon einmal gehört oder gelesen. Doch, dass die meisten von uns seine Bedeutung noch nicht vollends realisiert haben, führt uns eine besorgniserregende Lage der Demokratie in vielen Staaten dieser Welt leider sehr drastisch vor Augen.
Wir scheinen vergessen zu haben, dass der Weg zur Mitbestimmung und zum Mitspracherecht der Bevölkerung ein sehr steiniger war, dass die Werte, die das Grundgerüst einer friedvollen, demokratischen Gesellschaft bilden, von jedem Individuum mitgetragen werden müssen, um auch in unsicheren Zeiten beständig zu bleiben.
Rufen wir uns aus diesem Grund die Geschichte des verletzlichen Pflänzchens Demokratie noch einmal in Erinnerung:
In Staaten Europas wurde nach den Napoleonischen Kriegen zunächst ein beschränktes Wahlrecht eingeführt. Doch damit es überhaupt so weit kommen konnte, mangelte es nicht an blutigen Auseinandersetzungen, wie beispielsweise der Französischen Revolution, in der das Volk sich erfolgreich gegen seine systematische Unterdrückung auflehnte, was mit Gewalt und Verlusten verknüpft war.
Zudem hatte zunächst nur eine privilegierte, männliche Gruppe das Recht, mitzuentscheiden, während Frauen in der Politik nichts verloren hatten.
Doch eigentlich geht es in der Demokratie darum, dass alle in der Gesellschaft eine Stimme bekommen, ohne Benachteiligungen und Ausgrenzungen. Dafür machten sich als Pionierinnen die Frauen Österreichs am Anfang des 20. Jahrhunderts stark und forderten ihr Wahlrecht ein, welches ihnen 1918 erstmals genehmigt wurde. Auch in diesem Fall mussten zuerst viele Barrieren überwunden werden, bevor die Forderung umgesetzt werden konnte. Besonders deutlich wird die Herausforderung am Beispiel der Schweiz, wo Frauen erst fünf Jahrzehnte später ihr Recht auf politische Mitbestimmung erhielten.
Heute ist die Demokratie in beinahe allen Staaten Europas und in vielen Staaten dieser Welt als eine Form der Entscheidungsfindung und des breiten gesellschaftlichen Diskurses etabliert. Doch das vermeintlich so robuste Gefüge bröckelt gewaltig. Einer der vielen Gründe dafür sei die Spaltung der Gesellschaft durch soziale Medien, so schreibt Philippe Narval im Sachbuch „Die freundliche Revolution“. Diktatorische Regime wie der Iran, Ägypten oder China würden die Werkzeuge der Digitalisierung gezielt zur Manipulation und Überwachung ihrer Bürger einsetzen. Darüber hinaus würden Soziale Medien oftmals zur Radikalisierung der eigenen Denkweise beitragen und Konflikte verstärken, da beschränkte Sichtweisen in gewissen Kreisen immer wieder aufs Neue gefestigt würden.
Auch mir, als jungen, engagierten Menschen bereitet diese Entwicklung Sorgen. Einerseits fällt mir auf, dass eine gewisse Angst vor der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Standpunkten herrscht, weil es angenehmer ist, brenzlige Themen außen vor zu lassen. Andererseits sind viele Menschen mit alltäglichen Problemen so sehr beschäftigt, dass es eigentlich logisch erscheint, dass noch größere Herausforderungen unserer Zeit einfach ausgeblendet werden, solange es möglich ist.
Dabei dürfen wir nicht vergessen: Demokratie ist keineswegs selbstverständlich. Demokratie ist wertvoll. Aber Demokratie ist auch unbequem. Selbst mitentscheiden zu können, setzt voraus, selbst zu denken, zu hinterfragen, mitzugestalten und Alternativen aufzuzeigen. Die Forderung Philippe Narvals nach mehr aktiver Beteiligung der Menschen am politischen Geschehen sollte daher eigentlich unser grundlegendes Verständnis von Demokratie ausmachen.
Denn: Demokratie ist ein Werkzeug, um kulturelle Vielfalt, Toleranz und friedliche, internationale Zusammenarbeit möglich zu machen. Politischer Konsens und Demokratie gehen dabei Hand in Hand.
Um es mit den Worten von Tayfun Guttstadt, eines türkischen Künstlers auszudrücken:
„Du bist unpolitisch, bis dein Haus in Flammen steht; bis dein Vater in einem Foltergefängnis verschwindet; bis deine Heimat bombardiert wird; bis deine Sprache verboten wird; bis du zu wenig Geld hast; bis deine Art, zu sein, tagtäglich mit Gewalt unterdrückt wird. Unpolitisch zu sein ist ein Privileg.“
In diesem Sinne fordere ich Dich, als Individuum unserer Gesellschaft auf, hinzuschauen, wo Unrecht geschieht, laut zu werden, wo geschwiegen wird und zu hinterfragen, wo keine Fragen erlaubt sind.
Diese Meinungsrede zum Thema Demokratie habe ich im Februar für die Schule geschrieben.
Liebe Grüße, Lea